Wir waren eine Gruppe von Frauen. Es duftete herrlich nach den Kräutern, die wir gerade in Büscheln zusammenbanden. Wir sprachen über unsere Erfahrungen mit Nachbarschaft in einer Großstadt wie Wien.
Frau M. erzählte, dass sie jahrelang eine Nachbarin, die bettlägerig war, mitversorgt hatte. Der Sohn der Nachbarin lebte im fernen Tirol und konnte sich darauf verlassen, dass sie – Frau M. – seiner Mutter half, wenn sie etwas brauchte. Sie brachte ihr immer wieder Essen vorbei, schaute, wie es ihr ging und war erreichbar, wenn der Sohn das Gefühl hatte, seiner Mutter ging es nicht gut. Frau M. ist selbst sehr eingespannt. Sie pflegt seit vielen Jahren ihren Mann und kann das Haus nur stundenweise verlassen. Oft habe der Nachbarssohn genau dann angerufen, wenn sie gerade ihre freie Stunde hatte und einen kurzen Spaziergang in den Park machte. Wenn er anrief und besorgt den Zustand der Mutter schilderte, eilte Frau M. schnurstracks nach Hause, um nachzusehen, was mit der Nachbarin los war.
Eines Tages starb die kranke Nachbarin. Der Sohn ließ die Wohnung räumen und meldete sich nicht mehr bei Frau M. Nur einmal rief er später noch an, weil er etwas brauchte. Frau M. erzählte ihm, dass bei der Räumung der Wohnung ihre schöne Bodenvase umgeworfen und zerstört worden war, die am Gang vor Frau M.s Tür gestanden war. Da müsse sie sich selbst mit der Versicherung drum kümmern, war die lapidare Antwort des Nachbarsohnes. Seit damals hatte Frau M. nie wieder von ihm gehört. Ein bisschen enttäuscht sei sie schon, dass er nie auch nur die kleinste Geste des Dankes gezeigt habe, erzählte sie uns in der Frauenrunde. Sie habe keine großen Geschenke erwartet für den Dienst an der alten Dame. Eine nette Verabschiedung des Sohnes, ein kleines Zeichen der Anerkennung hätte ihr schon gereicht. Aber sie sei sicher, dass das Gute, das sie gegeben hat, irgendwann zu ihr zurückkommt.
Ich hörte zu und fühlte mit Frau M. Man unterstützt, hilf, packt an und es verhallt scheinbar im Leeren.
Sechs Wochen später schickt mir Frau M. eine Nachricht mit einem Foto. Auf dem Bild ist eine Glückwunschkarte und die Statue eines Engels zu sehen. Auf der Karte steht: „Liebe Frau M.! Wir wünschen Ihnen alles Gute zu Ihrem Geburtstag! P.S.: Einen Engel für den lieben Engel unseres Hauses.“ Unterschrieben von den Nachbar*innen, die oberhalb von Frau M. wohnen.
Für mich passt diese Erfahrung so gut zum Advent: Advent ist das Warten, dass die Liebe geboren wird. Manchmal kommt sie ganz unscheinbar und unverhofft zur Welt – mitten im Alltag. Dann ist Weihnachten.