Mach´s wie Gott – werde Mensch!
Groß war die Aufregung, als in einer Seitenkapelle des Linzer Doms heuer eine Darstellung der gebärenden Maria zu sehen war. Eine sendungsbewusste Person sah sich sogar dazu gerufen, der Frauen-Figur den Kopf abzuschlagen.
Nicht erst heute, sondern schon immer gibt es „Christ*innen“, die die Menschwerdung Gottes in ihrem vollen Umfang nicht ertragen können. „Ja, Jesus war echter Mensch, aber seine Geburt war trotzdem anders als die Geburt anderer Menschen! Er kam auf unerklärliche Weise aus dem Schoß Mariens, nicht wie wir gebären“, sagte mir kürzlich eine Frau. Andere erklären, dass Jesus zwar wahrer Mensch gewesen sei, aber immer schon alles gewusst habe und nichts lernen musste. (Dagegen spricht die Bibel selbst: „Jesus wuchs heran, und seine Weisheit nahm zu…“, Lk 2,52.)
Wieso tun wir uns so schwer mit diesem Geheimnis unseres Glaubens, dass Jesus nicht nur wahrer Gott, sondern auch wahrer Mensch ist? Ein Mensch mit Haut und Haar, aus Fleisch und Blut, der von der Geburt bis zu seinem qualvollen Tod gelebt, gefeiert und gelitten hat, wie es Menschen tun … wie es Menschen tun, die ihr Menschsein ganz bejahen.
Allzu oft schwingen wir uns auf und meinen, wir hätten alles in der Hand, getrieben von Fantasien eigener Unfehlbarkeit und Unverwundbarkeit. Der wahre Mensch Jesus jedoch begab sich in eine totale Abhängigkeit von seinem Vater („Nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen!“ Lk 22,42). So konnte er in einem vertrauenden Frieden leben.
Auf dem Weg menschlichen Reifens geht es darum, immer mehr zu werden, was wir sind: Mensch! Das ist im christlichen Verständnis bereits ein zutiefst „geistlicher“ Weg, weil es der Weg Gottes in der Menschwerdung ist. Die Welt und ich selbst sind mir geschenkt, von Gott geschaffen und geliebt.
Das Modell des reifen Menschen ist Jesus Christus. In ihm zeigt sich, was der Mensch in seiner schönsten Verwirklichung ist. Von ihm her und im Glauben an ihn ist echtes Menschsein zu verstehen. Dazu gehört, dass wir unseren Leib ehren, dass wir ihm genügend Schlaf, Bewegung, gesunde Nahrung zukommen lassen. Dass wir unsere Gefühle und Bedürfnisse wahrnehmen und angemessen mit ihnen umgehen lernen, anstatt sie zu verdrängen. Von Jesus dürfen wir lernen, wie wir uns selbst lieben können und ebenso unsere Mitmenschen. Er ist DER Beziehungsmensch schlechthin. Er lehrt uns Entscheidungen zu treffen und mit allen Konsequenzen dahinter zu stehen, auch wenn es äußerlich ein Scheitern bedeutet. Der Mensch Jesus geht in die dunkelste Nacht und vertraut sich in der größten Not dem Vater an. So wird ihm Auferweckung, Neubeginn und eine große Freiheit geschenkt.
Was das mit Weihnachten zu tun hat? Weihnachten ist die Einladung an uns, wie Gott Mensch zu werden – immer mehr zu dem Menschen zu werden, als den Gott uns erdacht hat. Das wird nicht in einer Nacht geschehen, auch wenn es die Heilige Nacht ist. Aber diese Heilige Nacht kann der Beginn von einem wahrhalft menschlichen Weg in deinem, in meinem Leben sein.
Ich sage dir
Es gibt keine göttliche Amnestie,
die Dir das Werden erspart.
Du möchtest sein:
Du wirst nur in Gott sein.
Er wird Dich in seine Scheune einbringen,
nachdem Du langsam durch Deine Handlungen geworden und geknetet sein wirst.
Denn der Mensch braucht lang zum Geborenwerden.
Antoine de Saint-Exupéry