Will Gott den Tod?
Mit dieser Frage und den daraus abgeleiteten Folgen in der Kirchengeschichte sowie der richtigen Interpretation dieser Schrifttexte setzte sich P. Dr. Clemens Pilar Cop in seiner Predigt am 2. Fastensonntag, 25.2.2024 in der Gemeinde Schönbrunn-Vorpark auseinander.
Wir feiern das Fest der Verklärung eigentlich erst im August, aber jedes Jahr wird uns diese Szene auch am zweiten Sonntag in der Fastenzeit vor Augen geführt. Das hat natürlich einerseits den Grund, dass wir uns schon am Anfang des geistigen Weges der Fastenzeit das Ziel ins Bewusstsein holen: Auch unser Weg soll zur „himmlischen Verklärung“, d.h. zur Auferstehung führen.
Aber die Texte der beiden Lesungen führen dazu, dass wir jetzt gar nicht in erster Linie auf das himmlische Licht schauen, sondern auf die Andeutung, dass der Weg des Messias kein Weg des irdischen Triumphes sein wird. Wenn Jesus hier andeutet, dass der Menschensohn „von den Toten auferstehen“ wird, dann heißt das, dass er zuvor irgendwie ums Leben kommen muss. An anderer Stelle wird Jesus noch deutlicher. Doch warum muss der Menschensohn zuerst sterben, bevor er dann als Auferstandener endgültig verherrlicht wird? Das ist eine wichtige Frage, und nicht immer wurde sie im Laufe der Kirchengeschichte korrekt beantwortet, ja manchmal wurde diese sogar verheerend falsch beantwortet. Das Resultat war ein verzerrtes, abschreckendes Gottesbild. Der Atheismus in der westlichen Welt, so wird heute bemerkt, ist vielfach eine Reaktion auf eine Gottesvorstellung, die man eigentlich nur ablehnen kann.
Die Lesungstexte sind tatsächlich verstörend. Was ist das für ein Gott, der von einem Vater verlangt, seinen Sohn zu opfern, fragen wir, wenn wir die Abrahams-Geschichte hören. Und auch wenn diese dann „gut“ ausgegangen ist, dann setzt doch die zweite Lesung nach, wo es heißt, dass der himmlische Vater seinen Sohn nicht verschont hat. Im Laufe der Jahrhunderte wurde daraus eine Keule: Der himmlische Vater muss das Blut seines geschlachteten Sohnes sehen, um sich mit der sündigen Menschheit versöhnen zu können. Nur so kann der göttliche Zorn gestillt werden. Fast alle haben diese Geschichte irgendwann einmal gehört. Aber stimmt die Geschichte so? Warum musste der Menschensohn den Tod erleiden, warum musste Abraham seinen Sohn für die Opferung bereit machen? Ist Gott grausam?
Die Abrahams-Geschichte richtig gelesen und gedeutet, wird uns etwas ganz anderes zeigen. Es geht in dieser Geschichte darum, dass mit dem Vater, also mit Abraham, etwas nicht stimmt. In Wirklichkeit soll Isaak nicht geopfert, sondern gerettet werden. Wie das?
Isaak war doch der lang ersehnte Sohn. Abraham musste hundert Jahre alt werden, bis die Verheißung endlich erfüllt wurde. Was dann passiert, geht aus den biblischen Texten deutlich hervor. Abraham hat seinen Sohn ergriffen und in Besitz genommen. Abraham war dabei, das Leben seines Sohnes zu erdrücken. Abraham verstand Isaak wie die Verlängerung seines Lebens. Er hat ihn nicht in sein eigenes Leben vor Gott entlassen. In der Einleitung zum heute gehörten Abschnitt ist die Ironie nicht zu überhören: „Nimm DEINEN Sohn, DEINEN EINZIGEN, den DU liebst…“ Gott spielt auf die Besitzergreifung Isaaks durch Abraham an.
Was dann folgt, scheint in der deutschen Übersetzung ein eindeutiger Befehl zu sein: Der Sohn soll geopfert werden. Aber mit der hebräischen Sprache ist das so eine Sache. Da ist vieles nicht so eindeutig. Der Befehl im hebräischen Urtext gelesen, kann in doppelter Weise verstanden werden. Entweder in dem Sinn, dass Abraham mit Isaak zum Berg Morija gehen soll, um ein Opfer zu bringen, – oder er solle zum Berg Morija gehen, um Isaak zum Opfer zu bringen. Beide Verstehensweisen sind von der hebräischen Grammatik aus möglich.
Wir wissen, wie die Geschichte weitergeht. Abraham glaubt wirklich, dass er den Sohn in einem blutigen Opfer darbringen muss. Aber das will Gott nicht! Was Gott aber sehr wohl will, ist, dass Abraham Isaak loslässt und ihm sein eigenes Leben vor Gott möglich macht. Es ist bezeichnend, dass am Ende kein Lamm – also ein Jungtier -, sondern ein Widder geschlachtet wird, d.h. ein „Vater-Tier“ muss sterben. So wird Isaak zum zweiten Mal geboren, weil der Vater endlich begriffen hat, dass sein Sohn nicht sein Besitz ist. Gott wollte nie, dass Isaak stirbt, sondern dass er lebt, und zwar sein eigenes Leben. Deshalb musste ihn Abraham hergeben.
Was hat das aber mit dem Tod des Menschensohnes zu tun? Warum muss Christus am Kreuz sterben? Weil der Vater das Blut seines einzig geborenen Sohnes sehen muss, um sich in seinem Zorn zu besänftigen? Das widerspräche vollkommen allem, was uns Jesus über den barmherzigen Vater geoffenbart hat.
Nein, es geht darum, all denen, die Gott und die Gottesrede missbrauchen, um den Menschen damit zu drohen und sie damit zu beherrschen, ihre Waffe endgültig wegzunehmen. „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“, so hören wir Jesus im Johannesevangelium sagen. Gott ist nicht der, der das Leben der Menschen bedroht, sondern er selber gibt sich in den Tod, damit die Menschen begreifen: Gott nimmt den Menschen nicht das Leben, er gibt es ihnen vielmehr! Natürlich ist das all jenen nicht recht, die die Religion missbrauchen, um zu herrschen, und die dazu einen Gott brauchen, mit dem sie drohen können. Ohne Religion ist kein Staat zu machen, so galt es lange Zeit. Das hat auch dazu geführt, dass auch das Kreuzesgeschehen sehr rasch wieder im Sinne der Mächtigen, die Religion zum Herrschen brauchen, umgedeutet wurde. Niemals dürfen wir vergessen, dass es nicht Gott der Vater war, der Jesus ans Kreuz gebracht und der den Tod des Sohnes wollte. Er hat ihn bloß nicht vor der Macht der Kleriker seiner Zeit verschont. Und Gott lässt es sich antun, ohne sich zu rächen. Gott schlägt nicht zurück, sondern er bietet seine Vergebung an.
Nur wenn wir ernst nehmen, was Jesus an anderer Stelle gesagt hat – „Ich und der Vater sind eins“ – werden alle falschen Gottesbilder sterben, die den Menschen niedergedrückt haben. Eigentlich sollte doch das ganze österliche Geschehen zur Entgiftung der Religion und der Gottesbeziehung führen.
Im Falle der ersten Lesung musste ein Vater verwandelt werden, damit dessen Sohn leben kann. Im zweiten Falle geht es nicht darum, dass Gott, der Vater, sich wandeln muss, vielmehr darf sich unsere Vorstellung vom Vater wandeln. Jesus zeigt uns, wie der Vater wirklich ist. Er ist der, der das Leben der Menschen nicht bedroht, der es ihnen nicht nimmt, sondern der vielmehr alles gibt, damit wirklich jeder in sein eigenes, wahres Leben vor Gott gehen kann!
Clemens Pilar