In der Krise bewährt sich das Eingeübte

Persönliches

Meine Eltern waren Bauern; Ganz typische – klischeehaft: Wir waren nicht gewohnt, über Gefühle zu reden. Manches wurde nur karg ausgedrückt. Über Manches wurde gar nicht gesprochen. Was zu arbeiten war, wurde einfach getan. Die Frage, ob etwas schwer ist oder gefällt, hat sich nicht gestellt. Das ist einfach so. Basta. Amen.

So war es mit der Arbeit im Stall, auf dem Feld, mit der Disziplin am Mittagstisch, mit der Schule und auch mit dem Glauben. Am Sonntag gehen wir in die Kirche, zum Mittagessen beten wir, in der Fastenzeit gehen wir zum Kreuzweg, im Mai zur Maiandacht.

Am Abend hat uns die Oma das Gebet vorgesprochen:

„Müde bin ich geh‘ zur Ruh‘; schließe meine Äuglein zu.
Vater, lass die Augen dein über meinem Bette sein.
Hab‘ ich Unrecht heut getan, lieber Gott, sieh‘ es nicht an.“

und

Jesu Kindlein komm zu mir, mach ein frommes Kind aus mir.
Mein Herz ist klein, kann niemand hinein als du, mein liebes Jesulein.

Es war nicht schlecht, es tun zu müssen

Wenn ich heute zurückschaue, dann bin ich meiner Familie unendlich dankbar über diese Vorgabe und Einübung. Das hat meinem Leben eine Struktur gegeben. Beim Mittagstisch kann ich gar nicht anders, als das Kreuzzeichen zu machen: „O Gott, von dem wir alles haben, wir preisen dich für deine Gaben. Du speisest uns, weil du uns liebst, o segne auch, was du uns gibst.“

Am Abend erinnere ich mich automatisch an die Eltern und an deren Müdigkeit, die aber nie das Gebet vergessen ließ. Als Student habe ich meinem Kindheitsgebet noch ein paar andere dazu gefügt: „Nimm nichts in die Nacht, das den Schlaf es dir raube, nur das Gebet und dann glaube, dass Gott über dir wacht. Lass alles, was nicht gelang, Gott kann das Dunkel bewegen und heilen mit seinem Segen. Schlafe und sei nicht bang.“ So kann ich besser in die Nacht gehen. Ich weiß, dass dieses Vertrauen ganz tief unterbewusst, weiterwirkt.

Die Gewohnheit hilft

Heutzutage haben viele Menschen scheinbar eine Allergie auf alles, was man tun muss. Bei vielen Taufgesprächen höre ich mir an: „Ich gehe nicht so oft in die Kirche, weil ich früher immer mit den Eltern gehen musste.“ Ja, Leute, was für eine Ausrede – denke ich mir dann. Du musstest dir doch auch die Zähne putzen. Bist du denn nicht froh darüber, dass dich da die Eltern oft ermahnt hatten und machst du das nicht heute noch weiter, obwohl du in der Kindheit so oft musstest?

Ist es nicht das Spezielle am Christ sein, dass wir den Sonntag heiligen, dass wir eine Gemeinschaft bilden, dass wir nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch das der Gemeinschaft achten!?

Die Gewohnheit hilft, unabhängig von Zeit und Lust, etwas zu tun, was gut und heilsam ist. Lasse ich mich von meiner momentanen Stimmung leiten, dann habe ich einen Großteil meines Lebens verloren. Nicht immer kann ich zu jeder Zeit alles durchdacht machen.

In der Krise bewährt sich das Eingeübte

Die Corona-Zeit, der sogenannte Lockdown, das Ausgangsverbot, ist eine enorme Einschränkung. Manche halten das nicht aus und sterben daran. Wie kann man dagegen wirken? Eine Möglichkeit ist die Einübung einer Tagesstruktur. Nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Ein aktives Glaubensleben hilft, nicht allein zu sein. Sind nicht die Engel und die Heiligen da? Führen Sie nicht hin zum Hirten?! Wenn ich am Morgen das innere Gespräch beginne, dann habe ich am Abend viel zu erzählen; und es ist nicht so schlecht, wenn mir tagsüber hie und da ein Stoßgebet entweicht.

Die Verfassung lesen

Für den Christen, die Christin, ist die Bibel die Verfassung. Es lohnt sich darin zu lesen und auf diesen Brief des Heilands zu antworten. 1000 Jahre Erfahrung von Menschen mit allen Krisen und schönen Zeiten sind aufgeschrieben. Es wäre dumm, diesen Schatz nicht mitzunehmen. Im Psalm 42 heißt es: „Wie der Hirsch dürstet nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele Gott nach dir!“

Das Wasser an der Tür

Katholische Christ/innen suchen beim Betreten einer Kirche zuallererst nach dem Weihwasser. Das Kreuzzeichen, damit erinnert: „Ich bin getauft“. Unsere Eltern haben sehr darauf geschaut, dass wir Kinder uns vor dem Verlassen des Hauses mit Weihwasser bekreuzigt haben. Selbst als ich schon berufstätig war, hat mein Vater beim Abschied (manchmal saß ich bereits im Auto) noch gefragt: „Hast Weihwasser g‘nommen?“. Die Oma hat wohl einmal im Monat eine Flasche in die Kirche mitgenommen: „Zum Weihwasser holen“. Was für ein schöner Brauch. Auch heute hängt neben meiner Wohnungstür ein kleines Weihwasserschüsselchen.

„Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“

Der Spruch stammt vom Modemacher Karl Lagerfeld. Da ist was Richtiges dran. Eine Begegnung mit anderen Menschen erfordert eine Vorbereitung. Das Äußere zeigt etwas von der inneren Einstellung. „Wir legen Wert darauf, dass Sie sich bei uns genauso wohlfühlen wie alle anderen. Daher bitten wir die Herren, ein Sakko zu tragen und sowohl Damen als auch Herren nicht in Jeans in den Kursen zu erscheinen.“ So steht es beim berühmten Wiener Tanzlehrer Thomas Schäfer-Elmayer auf der Webseite. Er verlangt auch zur Probe ein entsprechendes Outfit. Als Christen können wir uns selbstkritisch fragen: Haben wir nicht manchmal einen zu gedankenlosen Umgang für die Begegnung mit Gott? Die meisten meiner Generation hatten noch Großeltern, die ihnen ein Sonntagsgewand schenkten. Für diese Generation war es unmöglich, im Alltagsgewand in die Sonntagsmesse zu gehen.

Es gibt etwas Positives in all den Ordnungen, denen wir uns fügen. Sie sind nicht bloß eine Bürde. Vielfach helfen sie uns, wenn die eigene Kraft nicht mehr kreativ sein kann; wenn die Sorgen des Alltags uns müde machen; wenn das Gedächtnis nachlässt. So wie eingeübte Straßenregeln einen fließenden Verkehr ermöglichen, so hilft eine innere Ordnung der Seele bei ihrer Entwicklung.

„Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden… Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ Johannes-Evangelium 10,­ 9-10.

Pfarrer Martin Rupprecht