Impuls zur 5. Fastenwoche: Mut
„Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu bleiben, statt so zu leben, wie es andere von mir erwarten.“
Das ist einer der häufigsten Sätze, den Sterbebegleiter*innen hören. Warum fällt es uns so schwer, uns selbst zu bejahen?
Stellen Sie sich ein Puzzle vor, das alle Facetten Ihres Lebens abbildet – nicht nur Ihr Äußeres, sondern auch Ihre Persönlichkeitsanteile. Beim Zusammenbauen stoße ich immer wieder auf Puzzleteile, die ich nicht an mir mag, z.B. meine Angst, meinen Perfektionismus, meine krumme Nase, usw. Nach einer Weile würde ich mich in dem Puzzle nicht mehr wiedererkennen, weil es nur ein fragmentiertes Bild von mir ist. Oft sind es aber genau diese unliebsamen Aspekte an uns, die uns dabei helfen, anderen Menschen mit Mitgefühl zu begegnen. Wir brauchen die aus der eigenen Verletzlichkeit gewonnene Weisheit, um anderen beizustehen. Um „ganz“ zu sein – und nichts Anderes bedeuten ja die Worte „heil“ und „heilig“, müssen wir alle Teile von uns einbeziehen, akzeptieren und miteinander verbinden. Ganzheit bedeutet nicht Perfektion, sondern: nichts ausgelassen.
Die Philosophin Simone Weil sagte den klugen Satz: „Der Held trägt eine Rüstung, der Heilige ist nackt.“ Die oder der Heilige zeigt sich ganz und macht sich dadurch verwundbar; sie/er wirkt so aber auch heilsam für die Mitmenschen. Wir haben in der 3. Fastenwoche über das Thema „Vergebung“ gesprochen. Oft fällt es uns am schwersten, uns selbst zu vergeben, dass wir so sind, wie wir sind und nicht anders. Das ist der eine Aspekt des Themas: die Selbst-Annahme. An meiner Wand hängt der schöne Spruch „Mit etwas Mut kann man sein, wer man sein möchte. Mit noch etwas mehr Mut kann man sogar sein, wer man ist!“
Der 2. Aspekt ist, dass wir uns selbst treu bleiben dürfen, auch wenn wir damit die Erwartungen anderer enttäuschen. Das Wort „Ent-Täuschung“ ist für uns negativ besetzt, bedeutet aber eigentlich etwas Positives: Ich zeige eine Täuschung auf und trage dadurch zur Wahrheitsfindung bei. Die andere Person hatte vielleicht ein falsches Bild von mir. Wenn ich sie „ent-täusche“, sieht sie mehr von dem, wie ich wirklich bin. Tragfähige, gute Beziehungen halten Enttäuschungen aus und werden dadurch sogar wahrhaftiger.
Jahrhunderte lang wurde die Bibelstelle „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Mt 22,39) einseitig zitiert und der erste Teil des Satzes betont. Das „wie dich selbst“ wurde unter den Tisch gekehrt. Erst in der letzten Zeit erkennt man die Wichtigkeit der Selbstfürsorge: Nur wer für sich selbst gut sorgt, kann auch für andere da sein.
Ähnlich war es mit dem Begriff der „Demut“: Oft wurde sie mit Selbstverleugnung gleichgesetzt. Mir kam kürzlich folgende Deutung unter: „Demut ist, nicht weniger von sich zu denken, sondern weniger an sich zu denken!“ Wenn ich um meine Größe weiß, wenn ich wirklich glauben kann, dass Gott mich gut geschaffen hat, dass er sich an mir freut, dann werde ich im Alltag nicht Angst haben, zu kurz zu kommen oder von anderen übersehen zu werden. Und ich werde gut für mich selbst sorgen, weil ich erkannt habe, dass Gott ein Leben in Fülle für mich will. Ich werde meine Stärken zeigen und einsetzen, anstatt mich in falsch verstandener Demut klein zu machen. Ich werde meine Meinung sagen und manchmal auch gegen gesellschaftliche Konventionen handeln, weil ich innerlich frei bin vom Urteil der anderen. Was zählt ist, was Gott von mir denkt.
Kann ich glauben, dass Gott mich gut findet, so, wie ich bin?
Welche Seit von mir versuche ich vor anderen zu verbergen?
In welchen Lebensbereichen kostet es Mut, mir selber treu zu bleiben?
Petra Wasserbauer