Gedanken zur Umwandlung der Hagia Sophia

Liebe türkische Freunde!

(Türkçe çevirisi burada bulunabilir)

Die Politik hat die Hagia Sophia wieder in eine Moschee gewandelt. Das ist ihre Möglichkeit. Es zu beurteilen ist nicht mein Anliegen; ich habe auch kein Recht dazu.

Was mir Sorgen macht, sind die Worte, die dabei verwendet werden. Ein Gotteshaus sollte kein Symbol für Eroberung sein. Einzig ein Symbol für das Gebet und den Frieden. Wir leben nicht mehr in der Zeit vor 500 Jahren. In der Zwischenzeit haben wir die Sklaverei abgeschafft, den Frauen die gleichen Rechte gegeben, die Kinderarbeit verboten, die Rechte eines jeden Menschen festgestellt. Wir haben auch als Religionen dazugelernt.

Gott ist nicht mächtig durch uns, wenn wir etwas erobern. Wir können auch niemanden verpflichten an Gott zu glauben. Nichts können wir erzwingen. Es bleibt ein Geschenk, den Glauben an Gott gefunden zu haben.

Hz. Mevlana Celaledin Rumi sagt: „Hast du die Kaaba nicht im Herzen, dann geh nicht nach Mekka, trägst du nicht das Kreuz im Herzen, dann brauchst du keine Kirche.“

Manche von euch kennen mich: ich bin ein katholischer Priester in Wien. Vor zwanzig Jahren habe ich ein Jahr in Ankara studiert. Ich habe versucht die türkische Sprache zu lernen, um die türkischen Menschen mit ihrer großartigen Kultur besser kennen zu lernen. Wie war ich beeindruckt von der türkischen Gastfreundschaft!

Ich weiß um all die schwierige Geschichte zwischen Christen und Muslimen, und doch glaube ich von Herzen daran, dass Gott uns prüft, ob wir miteinander leben können. Es heißt im erhabenen Koran: „So wetteifert miteinander um das Wohl.“ (2/148) Es kommt also auf das Ergebnis des Glaubens an. Glaube ist nicht ein Wort, sondern eine Tat, eine Lebenshaltung.
Wie wollen wir also in die Zukunft gehen? Wollen wir überhaupt zusammen leben, oder sind wir erst dann zufrieden, wenn der andere erobert ist?

Liebe türkische Geschwister (degerli türk kardeslerim)!

Das macht mich so traurig. Dass das Gebet in der Hagia Sophia ein Symbol der Eroberung ist. Das ist der Grund für die Angst aller Christen. Müssen wir Angst voreinander haben? In Eurem verehrten Koran beginnt jede Sure mit dem bismillahirrahmanirrahim. Der Ruf nach Erbarmen und Barmherzigkeit.

Ich bitte euch also: Wenn ihr in der Hagia Sophia betet, dann betet für den Frieden; dann betet, dass wir Alle an ein Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen glauben können. Dass wir alle zusammen eine neue Sprache des Miteinanders lernen, dass Gott uns einen gemeinsamen Weg zeigen möge. Nur so werden wir Seine Größe verstehen. Gott ist größer als unser Denken. Amen.

Pfarrer Martin Rupprecht


 Anbei der Text in türkischer Sprache als Videobotschaft unseres Pfarrers Martin Rupprecht: