Ein Schlosser schraubt an einem Sicherheitsschloss

Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein …

… die Engel. Aber kürzlich ist mir einer von dieser Sorte untergekommen. Er schraubte kniend an der Radraumtür unseres Wohnhauses herum, als ich mit meiner Tochter zu Mittag aus dem Kindergarten heimkam. Mein erster Gedanke: Ein Einbrecher! Schon öfter war versucht worden, unseren Radraum aufzubrechen. Wagte es der tatsächlich am helllichten Tag, sich Zutritt zu unseren Fahrrädern zu verschaffen?

Noch bevor ich ihn zur Rede stellen konnte, wandte er sich mir zu und streckte mir die Hand entgegen. „Grüß Gott, ich bin der Herr E. von der Firma H. Sie könnten jetzt glauben, ich bin ein Einbrecher, aber die Hausverwaltung hat mir den Schlüssel gegeben!“ Konnte dieser Kerl Gedanken lesen? Misstrauisch beäugte ich seine Arbeitskleidung und ob er tatsächlich wie ein beauftragter Handwerker aussah.

Währenddessen beobachtete meine Tochter ganz interessiert, wie Herr E. gekonnt an der Tür herumschraubte. „Weißt du, hier hat jemand versucht, die Tür aufzubrechen, daher ist sie ein bisschen kaputt. Ich werde sie nun wieder reparieren“, erklärte er freundlich, als er das Interesse der Kleinen wahrnahm. „Komm jetzt, ich muss kochen!“, sagte ich zu meiner Tochter, während ich ihre Hand nahm und sie weiterzog. Ich würde ihn von unserer Wohnung aus im Auge behalten.

„Mama, ich will aber hierbleiben und dem Mann zuschauen!“ „Sie kann gerne hier stehen bleiben und mit mir plaudern. Ich freu mich über die Gesellschaft!“, mischte sich der Handwerker freundlich ein. „Kommst du gerade vom Kindergarten heim? Was habt ihr denn heute gemacht?“ Begeistert erzählte meine Jüngste von ihren Erlebnissen.

„Wollen Sie einen Kaffee?“, schoss es spontan aus mir heraus. Hatte ich diesem Typen, den ich gerade noch für einen Einbrecher gehalten habe, jetzt tatsächlich einen Kaffee angeboten? Das war wohl mein Gastwirtinnen-Ich, das gar nicht anders kann, als Leuten etwas anzubieten. Da erinnerte ich mich an den Mann von der Reinigungsfirma, dem ich Kaffee und Kekse in die Hand gedrückt hatte, als er letzten Advent vor unserer Wohnung kniend schrubbte. Gott sei Dank war ich nett zu ihm, denn wie ich damals erkannt hatte, war es Jesus selbst, der vor unserer Tür sauber gemacht hatte. Seine Putztechnik war einfach göttlich gewesen.

„Ich trinke sehr gerne einen Kaffee, wenn es keine Umstände macht!“, nahm auch Herr E. jetzt mein Angebot an. „Schwarz und ohne Zucker, bitte!“ „Jesus hat seinen Kaffee mit Milch und Zucker getrunken“, wollte ich schon fast erwidern. Aber ich biss mir auf die Zunge und sagte nur „Gerne!“ „Mama, kann ich bitte hier bei dem netten Herrn bleiben?“, bat meine Tochter. „Okay, aber wenn was ist, kommst du gleich! Ich lass die Wohnungstür offen und mach schnell einen Kaffee!“

Da unsere Wohnung auf einer Ebene mit dem Radraum ist, konnte ich beim Kaffeekochen die beiden miteinander plaudern hören. Sie unterhielten sich prächtig. Meine Tochter erzählte ihm, dass ich beim Vorlesen von Kinderbüchern immer einen Kaffee griffbereit habe und dass sie es verstehe, dass er beim Arbeiten auch gerne Kaffee trinkt. Ihre Fragen zur Reparatur der Tür beantwortete Herr E. mit einer Engelsgeduld.

Als ich den Kaffee zur fertig reparierten Tür brachte, lachten sie gerade beide herzlich. Die Kleine wollte ihm nicht von der Seite weichen. Sie blieb stehen, bis er den Kaffee getrunken, den Handwerkskoffer auf dem Gepäckträger seines Fahrrads fixiert und sich zum Wegfahren bereit gemacht hatte. Er drehte sich noch einmal um und winkte freundlich. „Hat mich gefreut, junge Dame!“, rief er noch und dann war er weg. „Mama, der Mann war ein Engel“, schwärmte meine Tochter verzückt. Woran sie das erkannt hatte? Na an den Kotflügeln natürlich!

Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt. (Hebräer 13,2)


Die Engel – Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein

(von Rudolf Otto Wiemer)

Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein,
die Engel.
Sie gehen leise, sie müssen nicht schrein,
oft sind sie alt und hässlich und klein,
die Engel.

Sie haben kein Schwert, kein weißes Gewand,
die Engel.
Vielleicht ist einer, der gibt dir die Hand,
oder er wohnt neben dir, Wand an Wand,
der Engel.

Dem Hungernden hat er das Brot gebracht,
der Engel.
Dem Kranken hat er das Bett gemacht,
und hört, wenn du ihn rufst, in der Nacht,
der Engel.

Er steht im Weg und er sagt: Nein,
der Engel.
Groß wie ein Pfahl und hart wie ein Stein –
Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein,
die Engel.