Erwählung und Erlösung der ganzen Menschheit – Predigt
In diesem Jahr verdrängte das „Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria“ durch ihre Mutter Anna („Mariä Empfängnis“) den 2. Adventsonntag (08.12.2024). Dr. Johann Pock stellte in seiner Predigt in Schönbrunn-Vorpark die zentralen Aussagen dieses Festes dar: Neuanfang – Erwählung – Erwählung in Vollkommenheit. Und es geht dabei nicht nur um Maria, sondern um die ganze Menschheit.
Ich sage meinen Studierenden in den Predigtkursen immer: Am schwierigsten sind die Marienpredigten. Jedes Jahr haben wir unzählige Marienfeste, Wallfahrten zu Marienkirchen, Dreizehntenwallfahrten … und fast immer dieselben Bibelstellen, und fast ausschließlich das heutige Evangelium nach Lukas: Die Verkündigung an Maria.
Und dabei ist das für heute das falsche Evangelium: Es leitet nämlich in die Irre. Bei „Mariä Empfängnis“ geht es um den Anfang des Lebens von Maria – also um Joachim und Anna, ihre Eltern. Das findet sich aber leider nicht in der Bibel – sondern nur im nicht biblischen, „apokryphen“ Jakobusevangelium. Daher ist 9 Monate nach dem 8. Dezember das Fest Mariä Geburt (8.9.); 9 Monate vor dem Weihnachtsfest jedoch der 25. März, das Fest der Verkündigung des Herrn.
Insofern ist der 8. Dezember anders als andere Marienfeste. Hier feiern wir eigentlich gar nicht Maria, oder eine ihrer Leistungen – sondern wir feiern die Erwählung und Erlösung der ganzen Menschheit.
- Es geht um einen Neuanfang
Das Festgeheimnis sagt uns: Gott hat einen Neuanfang mit den Menschen gesetzt. Die Menschheit hat sich immer mehr in Sünden verstrickt. Aus dem Teufelskreis dieser Verstrickung konnten sie aus eigener Kraft nicht mehr entkommen – und genau das bezeichnen wir als „Erbsünde“ – also etwas, was nicht unsere persönliche Schuld ist – aber was unser Leben dennoch beeinträchtigt. Deshalb wird auch zu Mariä Empfängnis die Lesung vom Sündenfall gelesen (Gen 3): Den Menschen wurde die Freiheit geschenkt – und sie haben die Freiheit immer wieder auch missbraucht und Böses damit angestellt.
Die Bibel erzählt, dass Gott schon einmal einen solchen Neuanfang gemacht hat: Zur Zeit Noahs, als die Sünden der Menschen überhandnahmen und er nur mehr wenige Gerechte fand. Damals ließ er die sündige Welt untergehen; die Welt wurde gleichsam reingewaschen – und nur einige Gerechte überlebten in der Arche Noahs.
Doch Gott schwor damals auch: Nie wieder wird er die Welt in dieser Form vernichten – dafür steht sein Bundeszeichen, der Regenbogen.
- Erwählung von Anfang an
Der Neuanfang diesmal setzt tiefer an: Gott sendet seinen Sohn, der als Mensch geboren werden soll. Dazu erwählt er eine Frau aus dem Volk, ein einfaches Mädchen – sie wird gnadenhaft erwählt zur Mutter des Herrn. Und genau das feiern wir heute: Von Anbeginn ihres Lebens im Mutterleib ihrer Mutter Anna war sie von Gott erwählt – und gleichzeitig auch befähigt, die Mutter Jesu zu werden.
Von Gott her war somit alles bereitet – und trotzdem musste sie selbst in ihrem Leben dann noch zustimmen. Ihre persönliche Entscheidung war es, etwas zu machen aus ihren Fähigkeiten, aus den Gnadengaben Gottes: So wie jeder Mensch Möglichkeiten geschenkt bekommt – und dann die Freiheit hat, was er damit anfängt.
Marias „Leistung“ war es, dass sie die Möglichkeit zum Sündigen nicht nützte: Jeder Mensch hat freien Willen – und damit auch die freie Möglichkeit, sich für oder gegen Gott zu entscheiden; für oder gegen das Gute – und das nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen. Maria entschied sich immer wieder für das Gute, so verehren wir sie in unserer Tradition.
- Erwählung zur Vollkommenheit
Mariä Empfängnis ist damit aber ein Fest der ganzen Menschheit: Es ist jenes Fest, in dem es um die Möglichkeit der “Vollkommenheit” geht – aber auch darum, dass Gott für unsere Un-Möglichkeiten und Un-Vollkommenheiten geradesteht.
“Perfektion” ist ja ein großes Bestreben gerade unserer Zeit: Alles möglichst perfekt zu machen – doch wir schaffen es nur sehr begrenzt, perfekt zu sein. Genau deshalb kommen wir als Christen zusammen: weil wir nicht vollkommen und perfekt sind – aber uns gegenseitig unterstützen. Deshalb feiern wir Eucharistie: Als Dankesfeier, dass da einer für unsere Sünden und Unvollkommenheiten sogar sein Leben gegeben hat. Und Maria war es, die mit ihrer freien Entscheidung dieses Opfer Jesu ermöglicht hat.
Vor einiger Zeit hat ein wunderbarer christlicher Dichter, Josef Dirnbeck, sich Gedanken gemacht über das Vollkommen-Sein von Christen:
Wenn wir vollkommen wären
Wenn wir vollkommen wären,
hätten wir einander nicht nötig.
Weil wir schwach sind,
brauchen wir Anerkennung.
Weil wir Fehler haben,
brauchen wir Verständnis.
Weil wir unsicher sind,
möchten wir akzeptiert werden.
Weil wir wandelbar sind,
können wir einander verwandeln.
Weil wir unvollkommen sind,
können wir einander lieben.
Wenn wir vollkommen wären,
hätten wir einander nicht nötig.
(Josef Dirnbeck)
Wir feiern also Marias Vollkommenheit – und erfreuen uns unserer Gemeinschaft, die es uns ermöglicht, in unserer Unvollkommenheit trotzdem glückliche Menschen zu sein.