Die Sorge um den Religionsunterricht und die vielen Kirchenaustritte

Zum Jahrestag der Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils am 11. Oktober 1962 wandte sich Pfarrer Martin mit einem Brief an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Pfarre Hildegard Burjan. Er macht sich Gedanken über das Verhältnis der Menschen zur Zugehörigkeit zur Gemeinschaft und über den Religionsunterricht.


Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unserer Pfarre Hildegard Burjan!

Heute, am Jahrestag der Eröffnung des 2. Vatikanischen Konzils 1962, drängt es mich euch zu schreiben. Gleichzeitig findet in diesen Wochen in Rom die Amazonien-Synode statt. Papst Franziskus hat viele kirchliche Vertreter und Vertreterinnen des Amazonasgebiets in Südamerika und Fachleute aus der ganzen Welt gerufen, über die Ökologie dieses so wichtigen Gebietes und über das christliche Wirken dort nachzudenken und Entscheidungen zu treffen. Ich bitte euch, betet dafür!

Im Wissen um die Auswirkungen auf das Klima, habe ich trotzdem dieses Jahr drei Reisen unternommen: nach Pakistan, Äthiopien und Tansania. Eine Beobachtung hat mich besonders ermutigt: In all diesen Ländern ist die katholische Kirche eine der konstruktivsten und innovativsten Kräfte. Überall werden katholische Schulen gebaut; mit Disziplin und Tatkraft wird Bildung verbreitet. Für alle Kinder unabhängig ihrer Religion.

Zurück in Österreich fühle ich Freude und großen Schmerz zugleich. Da ist einerseits ein hohes Maß an Engagement in der Pfarrgemeinde und andererseits eine fehlende Solidarität innerhalb der Kirche. Auf zwei Themen möchte ich dabei aufmerksam machen: die Lage des Religionsunterrichts und die dramatischen Kirchenaustritte.

Wir sind in der glücklichen Lage, dass Religionsunterricht in der Schule ermöglicht wird. Bei den vielen Religionslehrer/innen, die ich kenne, kann ich nur staunen über deren Engagement und gleichzeitig die Mühe, der sie ausgesetzt sind. Weil immer weniger Kinder den Religionsunterricht besuchen, fehlen aber die Stunden. Darum sind viele Religionslehrer/innen an drei, vier und fünf Schulen gleichzeitig tätig. Ein Wahnsinn! Es ist kaum möglich, sich noch in den Lehrkörper einzubringen, geschweige denn, eine Kirche zu besuchen. Dazu bräuchte es eine zweite Stunde oder Vorbereitung mit der Pfarre. Das geht aber nicht bei fünf Standorten.

Es schmerzt mich außerordentlich, dass sogar katholische Familien ihre Kinder vom Unterricht abmelden. Ich bitte euch alle, darüber zu sprechen. Wenn schon diese Solidarität innerhalb einer Pfarrgemeinde fehlt, wie soll sich dann etwas aufbauen? Wie können Kinder auf die Erstkommunion oder Firmung vorbereitet werden, wenn dieses Gut des Unterrichts nicht angenommen wird? Noch nie habe ich Bedingungen für diese Vorbereitungen gestellt, aber heute muss ich darauf hinweisen, dass beide Sakramentsvorbereitungen nur dann möglich sind, wenn die Kinder – auch im Jahr davor – am Unterricht teilgenommen haben.

Der nächste schmerzliche Punkt ist der Kirchenaustritt. In unserer Pfarre haben wir ca. 250 Austritte im Jahr. Seit unserer Pfarrgründung vor zweieinhalb Jahren haben wir 601 Gemeindemitglieder weniger. Das ist eine ganze Pfarre auf dem Land. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, dann können wir in sieben Jahren die nächste Kirchenschließung vornehmen. Sollen wir ausknobeln, welche unserer drei Kirchen das sein wird? Erstaunlich dabei ist, dass bei fast jeder zweiten Taufe ein/e ausgetretene/r Katholik/in Taufpate sein möchte. Wie soll das gehen? Ihr bemerkt, dass mich das ziemlich schmerzt.

Kirche ist die Gemeinschaft der Getauften. Wenn ich das sage, denke ich an das Wort von Konrad Adenauer (dem früheren Bundeskanzler von Deutschland): „Alle Menschen gern zu haben, ist einfach. Das Problem ist der blöde Kerl von nebenan.“ Ja, auch in der Kirche gibt es immer den „blöden Kerl“. Immer ist einer da, der etwas anderes denkt, spricht und tut als das, wovon ich überzeugt bin. Kann ich also bei dieser Gemeinschaft dabei sein, die nicht zu 100 %  das tut, was ich mir denke?! Viele fordern Meinungsfreiheit, aber lassen für die Kirche nur das gelten, was ihnen angenehm ist. Die Botschaft Jesu ist aber nicht immer bequem. Sie ist voller Ideal, Vision und Tiefe, die sich nicht sofort verstehen lässt.

Große Gestalten der Kirche haben nie den angenehmen Weg gesucht. Ein heiliger Johannes Don Bosco: Lest einmal seine Lebensgeschichte. Auf Google schnell zu finden. Mühselig hat er begonnen. Heutzutage ist seine Gemeinschaft der Salesianer/innen eine der größten der Kirche. Spielplatz, Schule, Gebet. Das ist sein Motto für alle Kinder dieser Welt. Eine Mutter Teresa. Keinen Tag hat sie ohne Hl. Messe gelebt. Daraus ihre Kraft geschöpft und ihre Begegnung mit Jesus gefunden. Als ich dieses Jahr in Äthiopien ihre Häuser besucht habe, da habe ich vieles in meinem Leben bitter bereut: Wie bequem ich lebe und viele meiner Lieblosigkeiten stechen mir ins Herz. Was wäre die Welt ohne diese Heilige?! Wie gelingt es diesen Schwestern, in der ärgsten Not auszuhalten? Fragt einmal Christl, Kira oder Sascha, die mit mir waren.

Es ist kein Problem, Gründe für einen Kirchenaustritt zu finden. Eine Million Argumente können angeführt werden. Die Schlagzeilen bieten genügend Futter dazu. Wie gegen einen unbeliebten Menschen kannst du Tag und Nacht herziehen. Eine Mutter Teresa würde aber den einen Punkt der Würde und der Liebenswürdigkeit darin finden und an ihn glauben und daran, dass Gottes Geist wirkt. Mit ihm und durch ihn.

Heute habe ich um 13 Uhr vier Kinder von der Schule zum Erstkommunionsunterricht abgeholt, während alle Anderen heimgegangen sind. Eines davon fragt noch: „Wohin geht ihr?“ und voller Stolz antwortete der 9-jährige Mark: „Wir gehen Kirche. Wir bekommen Erstkommunion.“

In dieser Freude und Überzeugung der Erstkommunionkinder, dass uns Jesus etwas gibt, nämlich sich selber in der Gemeinschaft (Kommunion) der Kirche, hoffe ich auf euer Verständnis, euer Vertrauen und Euren Mut,

Euer Pfarrer Martin Rupprecht