Das Lernen der Schüler Jesu
In seiner Predigt im Karfreitagsgottesdienst (29.03.) in Schönbrunn-Vorpark nahm Generalvikar Dr. Nikolaus Krasa wieder das Lernen der Schüler Jesu, und damit auch unser Lernen, auf, sprach über das Scheitern, das Hinabsteigen in Bereiche unseres Lebens, in die wir nicht so gerne schauen, und verband das mit unserem Kreuz, das die österliche Dimension des Lösens vom Kreuz darstellt.
Das Lernen der Schüler Jesu (wenn man den griechischen Begriff für Jünger – μαθηταί – weniger fromm übersetzt) begleitet uns durch diese Kartage. Wie geht dieses Lernen? Wenn wir an die Jünger Jesu denken, an ihren Weg mit Jesus, ist die Antwort zunächst ganz einfach: übers Mitgehen. Über das, was sie beim Mitgehen lernen. Was sie an Verhalten von Jesus sehen, was sie von ihm hören, dann auch im Selbst-Ausprobieren (er schickt sie ja aus, mehrfach, um die Erfahrung zu machen, die er macht). Und in all dem, darüber haben wir gestern nachgedacht, im Scheitern. Vielleicht sogar besser im zunehmenden Scheitern. Zunächst im Unglauben der Jünger, die Jesus öfters tadelt, in manchen falschen Antworten (denken Sie an die Geschichte der Brotvermehrung, wo die Jünger die Leute nach Hause schicken wollen), in manchen falschen Verhaltensweisen (etwa, dass sie unterwegs darüber streiten, wer denn nun von ihnen der Größte sei), aber dann, am Höhepunkt der Jesusgeschichte, letztlich im Scheitern an der Passion, bei Markus sehr drastisch, da sind nur ein paar Frauen in der Ferne, bei Johannes immerhin mit dem Jünger, den Jesus liebte, und Maria. Und wenn wir ein bisschen weiterdenken und nur bei Johannes bleiben, die Ostergeschichten beginnen mit Scheiter-Geschichten. Maria von Magdala, weinend im Garten, die Jünger im Abendmahlssaal, die Angst vor den Juden haben, Thomas, der nicht glauben kann, und dann nochmals vielleicht die größte johanneische Scheitergeschichte von allen, die Jünger, die am See Genezareth zum Alltag zurückgekehrt sind und fischen. Und Jesus, der Petrus direkt auf sein Scheitern anspricht, wenn er ihn dreimal fragt: ‚Liebst du mich?‘ Was passiert hier?
Ich glaube, es gibt Lernerfahrungen unterschiedlicher Tiefe. Das Einfachste ist wohl, intellektuell zu lernen. Ich habe ein Gedicht auswendig gelernt, vielleicht sogar, ich habe intellektuell einen größeren Zusammenhang begriffen. Ich weiß jetzt mehr als vorher.
Dann gibt es das Lernen von Verhalten. Ich habe bestimmte Verhaltensweisen gelernt, ich habe mich in einem fremden Land eingelebt, ich habe mir bestimmtes Verhalten abgewöhnt. Vielleicht sogar eine Kombination von beidem: Ich habe Wissen gelernt, Verhalten gelernt, kann beides kombinieren, Kompetenzen erlangt, würden die Pädagogen sagen.
Und dann merke ich vielleicht, dass es Bereiche in meinem Leben, in meinem Verhalten gibt, die sich nicht so leicht ändern lassen. Was mich etwa ganz schnell emotional werden lässt, meine Ruhe verlieren lässt, die immer gleichen Dinge, die Menschen tun, und die mich auf die Palme bringen. Oder Verhaltenswesen, die trotz allen Bemühens nicht weggehen. Oder schlicht Bereiche meines Lebens, in die ich gar nicht hineinschauen will: Sprich mich darauf nicht an. Lass mich nur in Ruhe mit diesem Thema, das kann ich nicht hören… Letztlich – um es mit einer Metapher zu sagen – Bereiche, in denen in mir Dunkel ist. Dunkel, das Angst macht. Dunkel, in das ich nicht hineinschauen will. Vielleicht auch, weil es mich etwas von jenem Dunkel schmecken, fühlen lässt, das am Ende meines Lebens auf mich zukommt.
Und damit sind wir mitten am Karfreitag, eigentlich bei einem Ritus, den uns unser modernes Kreuz sehr bald eindrücklich vor Augen stellen wird. Wenn Licht darauf fällt, wirft es einen Schatten, wird mit dem Korpus auch das Kreuz erkennbar. Das Licht macht erst den Schatten sichtbar, lässt aber gleichzeitig auch erkennen, dass sich der Corpus schon vom Kreuz gelöst hat. „Hinabgestiegen in das Reich des Todes“, sagen wir im Glaubensbekenntnis. Im Unterschied zu uns steigt er in dieses tiefste Dunkel hinab. Lässt sich nicht von ihm abschrecken. Im Gegenteil, weiß, in der Sprache des Johannesevangeliums, „Es ist vollbracht“. Oder kündigt das im Abendmahlssaal angesichts von Judas, der die Gemeinschaft verlässt, an: „Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht“.
Tiefstes Lernen, tiefste Veränderung geht durch den Tod, durch das Hinabsteigen dorthin, wo in uns Dunkel und Tod ist. Angst und Verletzungen sitzen, manches Unaufgearbeitete in unserem Leben. Nach Jesu Tod und Auferstehung wissen wir: Dort finden wir nicht Tod, nicht Gottferne, auch dort finden wir Christus. Weil er genau in dieses Dunkel hinuntergestiegen ist. Und wenn wir ihn dort finden, verwandelt er uns. Genau das passiert in den Johanneischen Ostergeschichten. Dort, wo die Jünger in ihrer Angst ausharren, nicht davonlaufen, dort wird im Abendmahlssaal Ostern, dort, wo Thomas seinen Unglauben bekennt, dort wird für ihn Ostern, dort, wo Petrus sich seiner dreimaligen Verleumdung stellt, dort wird für ihn Ostern.
Letztlich ist das wohl der Sinn des Ritus, den wir gleich erleben werden, der Kreuzverehrung. Wir bekennen, dass Jesus hinabgestiegen ist in das Reich des Todes, aber nicht abstrakt, sondern in unsere Todesreiche, was auch wir das tun können, weil wir dort niemand anderem begegnen als ihm und uns selbst.
Nikolaus Krasa