Rudolfsheim 1898–1907
Der Bau ist vollendet, das Pfarrleben beginnt
Nach fünf Jahren Bauzeit war der im neugotischen Stil errichtete dreischiffige Kirchenbau fast fertiggestellt. Man konnte darin die ersten Gottesdienste feiern. Der 76 Meter hohe Turm war weit über die Stadtgrenzen sichtbar. Durch die Lage auf einer Anhöhe ist seine Spitze in der Luftlinie um 6 Meter höher als die des Stephansdoms.
Schon vor der Einweihung läuteten die fünf Bronzeglocken der Wiener Neustädter Firma Hilzer dreimal täglich zum „Engel des Herrn“. Der Klang wurde als sehr harmonisch beschrieben. Vier dieser Glocken mussten allerdings im Ersten Weltkrieg abgegeben werden. Sie wurden 1921 durch Stahlglocken ersetzt. Im Auftrag der Gemeinde Wien wurde auch eine Turmuhr installiert, die schon seit 1904 elektrisch beleuchtet ist.
Im Inneren der Kirche fehlte es 1898 aber noch am Notwendigsten. Das vorhandene Geld hatte nämlich nur für den Bau selbst gereicht. Die Innenmalerei fehlte. Es gab nur provisorische Altäre, keine Kirchenbänke und keine Beichtstühle. Vorübergehend borgte die Schönbrunner Schlossverwaltung der Pfarre einen Beichtstuhl. Der Besitzer des nahe gelegenen Restaurants Tivoli stellte einige Sessel zur Verfügung. Später saßen die Kirchenbesucher auch auf Brettern, die zwischen den Gerüstleitern der Maler aufgelegt waren. Der einzige Schmuck der Kirche war die schöne Kanzel nach dem Entwurf des Innenarchitekten Eduard Zotter. Zotter entwarf unter anderem auch den Taufstein, die Beichtstühle und die Kirchenbänke. Die Kanzel stand ursprünglich am ersten Pfeiler. Sie wurde später wegen der schlechten Akustik an die freie Vorderwand gestellt. Unter dem Musikchor stand das steinerne Taufbecken.
Wegen der noch mangelhaften Innenausgestaltung war eine feierliche Konsekration zunächst noch nicht möglich. Die neue Kirche sollte aber möglichst schnell ihrer Bestimmung nachkommen. Daher war eine einfache Segnung, eine sogenannte „Benediktion“ notwendig. Dadurch konnte in der Kirche die Heilige Messe gefeiert werden. Stadtdechant Konstantin Walter, der Pfarrer von Fünfhaus, benedizierte am 29. Dezember 1898 die Pfarrkirche „Zu Ehren Mariens, der Königin der Märtyrer, und zu Ehren des seligen Rudolf“. Am 30. Jänner 1889 hatte sich Kronprinz Rudolf, der einzige Sohn des Kaisers, in seinem 31. Lebensjahr in Mayerling erschossen. Das Gotteshaus sollte auch als Gedächtnisstätte für den Kronprinzen dienen – dieser ist jedoch nicht ident mit besagtem Seligen!
Das dreiteilige Hochaltarbild fertigte der Akademischen Maler Josef Reich an. Es zeigt Maria als Königin der Märtyrer – das Motiv des Namensfestes der Kirche – thronend auf einem Marmorsitz in der Bildmitte. Links von ihr steht der hl. Petrus und neben ihm der hl. Erzmärtyrer Stephanus, der Patron unserer Bischofskirche und Erzdiözese. Rechts neben der „Regina Martyrum“ (Königin der Märtyrer) erkenne wir drei Frauengestalten: eine Personifizierung von Glaube (Fides), Hoffnung (Spes) und Liebe (Caritas). Im linken Seitenbild sieht man Abel mit dem Opferlamm, den hl. Sebastian und kniend den seligen Rudolf von Bern (†1294). Im rechten Bild sind die hl. Katharina – eine der 14 Nothelfer/innen – und die hl. Cäcilia, Patronin der Kirchenmusik, dargestellt. Leider stellte sich später heraus, dass das Altarbild nicht – wie vereinbart – auf Schweinsleder, sondern nur auf eine einfache Leinwand gemalt worden war. Darunter litt die Qualität des Bildes sehr.
Mit 1. Jänner 1899 finden sich bereits die ersten Eintragungen von Taufen in der neuen Kirche. Rudolfsheim war zur Zeit ihrer Gründung eine der acht größten Pfarren Wiens – 46.075 Katholik/innen zählte damals die Pfarrbevölkerung in einem Gebiet, das sich von der Johnstraße bis zum Gürtel und von der Gablenzgasse bis zum Westbahnhof erstreckte. Der erste Rudolfsheimer Pfarrer war Heinrich Raab, vorher k.u.k. Hofkaplan und Pfarrer von Hetzendorf.
Am Ende des ersten Arbeitsjahres, am 21. November 1899, fand schließlich die feierliche Konsekration der Kirche statt. Sie wurde durch Fürsterzbischof Dr. Anton Josef Gruscha und Bischof Dr. Laurenz Mayer vorgenommen. Auch an dieser Feier nahm Kaiser Franz Joseph teil.
Im Jahr 1906 wurden die Bilder der beiden Seitenaltäre eingesetzt. Es handelt sich dabei um Kupferplatten mit Mosaikimitationen auf Goldgrund, hergestellt von der Wiener Künstlerin Maria Schöffmann. Links, auf der Kanzelseite, ist der hl. Severin dargestellt, rechts, neben dem Herz Jesu-Altar, der hl. Josef, Nährvater Jesu. 1907 wurde der Herz-Jesu-Altar aufgestellt und von Bischof Dr. Mayer geweiht. Die große Herz-Jesu-Statue ist eine Holzschnitzarbeit aus dem Grödnertal.
Durch eine Stiftung konnte die Pfarre ein Heiliges Grab anschaffen (entworfen durch Johann Grienberger, Bruder des damaligen Mesners und von Beruf Elfenbeinschnitzer). Das Ensemble stellt das Innere des Gartens Josefs von Arimathäa dar, in dem sich das Grab befand, in dem Jesus beigesetzt wurde. Zwei Pforten führen durch die Gartenmauer und geben eine Fernsicht auf den Kalvarienberg und die Stadt Jerusalem. Die im Grab ruhende Christusgestalt stammt vom Linzer Bildhauer Ludwig Linzinger, die Wächter beim Heiligen Grab aus St. Ulrich/Gröden in Südtirol. Das sehenswerte Heilige Grab wird alljährlich von Karfreitag bis ca. zum Weißen Sonntag in der Seitenkapelle, rechts im Kirchenschiff, aufgestellt. Sie ist wegen der realistischen Darstellung seiner lebensgroßen Figuren sehr bekannt.
Die Weihnachtskrippe, ebenfalls von Johann Grienberger, stellt das Innere des Stalls von Bethlehem dar. Auch diese Figuren stammen aus St. Ulrich. Sie wird jedes Jahr im Severinaltar aufgebaut.